Anspruchsvolle Prüfung im Tischlerhandwerk: In der Handprobe einen Taschenleerer bauen

Bad Kreuznach. Wir bauen einen „Taschenleerer“. Das war in diesem Jahr die „Handprobe“ für angehende Tischlergesellen. Was man sich unter einem „Taschenleerer“ vorzustellen hat, machen Konstruktionszeichnungen klar, die den Tischler-Auszubildenden für ihre praktische Abschlussprüfung (die „Handprobe“) in der Holzwerkstatt der Berufsbildenden Schule in Bad Kreuznach zur Verfügung gestellt wird. In sieben Stunden nach dem Start soll das gute Stück aus Buchenholz (Schublade) und MDF (mitteldichte Holzfaserplatten) für den Korpus fertig sein. Ein anspruchsvolles Unterfangen wissen die Betreuer. Denn nicht alle neun Aspiranten werden mit dem Möbelstück fertig. Es ist eine Art kleine Truhe, hängt an der Wand, hat oben eine Klappe und darunter eine Schublade – ein Aufbewahrungsort für alles, was man beim Heimkommen so in der Tasche hat.

Die Gesellenprüfung wurde auch 2023 wieder an zwei Tagen abgenommen – neun Prüflinge sind zur Handprobe angetreten. Sieben davon haben Ihre Prüfung erfolgreich abgelegt. Es ist immer schön zu sehen wenn am Ende des Tages ein fertiges Werkstück da steht`, sagt Prüfungsausschuss-Vorsitzender Marc Spira (Hargesheim). Bei zwei Prüflingen hat es leider nicht gereicht.

Es heißt zwar „gut Ding will Weile haben“ und „nur net hudele“, aber trödeln hilft auch nicht weiter. „Es braucht einen Arbeitsablaufplan und eine Stückliste, eine Gliederung also die auch Eigenkontrolle ermöglicht“, sagt Spira. Sich ein Bild machen, Fragen stellen, die Material-Stückliste durchgehen, dann kann es los gehen – so wie auch im Betrieb.  Geprüft wird nach der siebenstündigen Arbeit von Marc Spira und Marco Mädler, Fachlehrer Markus Berger und Fachlehrer und Werkstattleiter Jörg Hachenthal, alle Mitglieder im Prüfungsausschuss, die volle Gebrauchstauglichkeit und Funktion des Stücks – so, als wäre es im Kundenauftrag entstanden. Beim genauen Betrachten der Details insbesondere beim Herstellen der Buchenholz-Schublade mit Schwalbenschwanz-Zinkung werden große Unterschiede im handwerklichen Können deutlich.  Wer die Zeichnungen nicht aufmerksam und genau gelesen hat kann auch massive Fehler machen. Wer neu ansetzen muss handelt sich Punktabzug ein und hat womöglich auch kein Ersatzmaterial mehr zur Hand. Die vier Fachbetreuer in der Werkstatt geben indes aber auch Hinweise, bringen die Aspiranten schon mal mit Fragen nach ihrer Handlungsweise auf den richtigen Weg. Man will die Prüflinge nicht „auf den Holzweg“ laufen lassen.

Das Herstellen von traditionellen und gelungenen Passverbindungen ohne Schrauben oder Dübel ist ein Klassiker. „Das macht unheimlich viel Spaß, wenn es gelungen ist,“ sagt Spira. Genau so viel Spaß und Freude soll ja auch das Gesellenstück machen. Das wird traditionell im Betrieb angefertigt wo dem angehenden Tischlergesellen rund 100 Stunden für die Realisierung zur Verfügung stehen soll. Die zwei besten Stücke dieses Jahrgangs sind in der Sparkasse am Kornmarkt ausgestellt bis zum 01.08.2023. Das Sideboard von Lisa Streyl, Ausbildungsbetreib Tischlerei van Brügge, und der Couchtisch von Nicola Kraft, Ausbildungsbetrieb Tischlerei Spira. Das Gesellenstück von Nicola Kraft wurde wegen des Designs für den Innungswettbewerb `die Gute Form` nominiert.

Der Prüfungsausschuss besucht den Azubi im Betrieb, schaut auf eigenständige Planung und Durchführung. Das Gesellenstück soll baubar, realitätsnah und an Kundenaufträgen orientiert sein, sagt Spira. Gewünscht ist Ideenreichtum, Kreativität und Vorstellungsvermögen. Die Fähigkeiten für Nutzen, Gebrauch und Kosten wird hier gefordert. Im besten Falle bekommt das Gesellenstück einen angedachten Platz im zuhause des frischen Gesellen.

Dass der Kreis, die Region, eigentlich das ganze Land gute, eigenständige und zuverlässige Handwerker braucht, das wurde und wird gerade im Ahrtal deutlich, nennt Marc Spira ein wichtiges Beispiel. Der Wiederaufbau der Infrastruktur müsse überregional geplant werden, aber an der Basis sei doch das Handwerk gefordert. Straßenbauer, Maurer, Heizungsbauer, Elektriker oder eben Tischler. Da sei die Politik weiter gefordert, die Ausbildung junger Leute nicht zu stark in Richtung Studium zu lenken, sondern das Handwerk zu fördern. Rund 15 junge Leute beginnen im Kreis Bad Kreuznach jedes Jahr eine Tischler-Lehrer. Etwas mehr als die Hälfte schließt die Ausbildung dann auch erfolgreich ab. Eher zu wenig für die anstehenden Aufgaben. In fast allen anderen Innungen ist die Lage ähnlich und führt zum Hilferuf: Handwerker dringend gesucht.